Die Welt verstehen

Die Welt verstehen · Antoine de Saint-Exupéry 

Wir waren mit dem Flugzeug in der Wüste abgestürzt, hatten mehr als 70 Kilometer hinter uns und unser Vorrat an Flüssigkeit war aufgebraucht. Im Osten war nichts zu entdecken, und kein Kamerad hatte die Gegend überflogen. Wie lange würden wir es aushalten? Wir waren so durstig!

Am frühen Morgen konnten wir auf den Flügeln unserer Maschine ein wenig Wasser zusammenwischen. Es stand nicht hoch im Glas und war mit Farbe und Öl widerlich gemischt. Wir haben es aber doch getrunken. Zumindest die Lippen waren feucht.

Alles, was ich von der Libyschen Wüste gehört hatte, ging mir durch den Kopf. Sie hat nur 18 Prozent Luftfeuchtigkeit, wo in der Sahara noch 40 Prozent gemessen werden. Das Leben verdunstet hier wie Dampf.

Die Beduinen, die Reisenden und die Kolonialoffiziere sind sich darüber einig, dass man neunzehn Stunden ohne zu trinken auskommen kann. Von der zwanzigsten Stunde an sehen die Augen ein flammendes Leuchten, und das bedeutet das Ende. Der Durst leistet rasche Vernichtungsarbeit.

Neunzehn Stunden lebt man hier ohne Wasser. Und was haben wir seit gestern Abend gehabt? Einige Tropfen Tau bei Morgengrauen. Aber der gütige Nordostwind weht immer noch und verzögert die Verdunstung ein wenig. Er lässt die hohen Wolkenbauten am Himmel entstehen. Wenn die nur zu uns kämen, wenn es nur regnen wollte. Aber in der Wüste regnet es fast nie.

»Prévot, trennen wir doch einen Fallschirm auf. Wir breiten die Dreiecksbahnen auf die Erde und belasten sie mit Steinen. Wenn der Wind nicht umschlägt, können wir am Morgen die Tücher auswinden und den Tau in einem Benzintank sammeln!« Und bald lagen sechs weiße Tücher unter den Sternen. Nun brauchten wir nur noch auf den Morgen zu warten.

Da entdeckte Prévot unter den Trümmern eine Apfelsine, und dieses unverhoffte Wunder teilten wir uns jetzt. Ich war völlig aus der Fassung, so wenig es für Leute war, die zwanzig Liter brauchten. Ich ruhte neben dem Lagerfeuer und sah mir die leuchtende Frucht an.

Die Menschen wissen nicht, was eine Apfelsine ist! Weiter und weiter flogen die Gedanken: Wir sitzen hier zum Tod verurteilt, und doch verdirbt mir diese Gewissheit nicht den Genuss. Die halbe Apfelsine in meiner Hand ist eine der größten Freuden meines Lebens.

Ich lege mich auf den Rücken, ich lutsche meine Frucht aus und zähle die Meteore. Für diese Minute bin ich restlos glücklich.

Man kann die Welt nur nach dem verstehen, was man erlebt hat.

Die Welt verstehen · Antoine de Saint-Exupéry

Und wenn du den Eindruck hast, dass das Leben ein Theater ist, dann suche dir eine Rolle aus, die dir so richtig Spaß macht.

William Shakespeare