Im Hafen von Genua

Im Hafen von Genua · Curt Emmrich · Topographie · Italien

Die Hafenstadt Genua hat von jeher den Horizont meiner Wünsche gefärbt wie die rosenfingrige Eos den Morgenhimmel der homerischen Helden.

Es war ein goldener Tag, an dem das Glück mich in die alte Hafenstadt am Tyrrhenischen Meer verschlug. In Genua gerät man in die alltäglich Gegenwart eines noch nicht erloschenen Mittelalters.

Genua ist die Geburtsstadt des Kolumbus. Es wäre sonderbar, wenn die Historiker das nicht bezweifelt hätten. Aber die Legende stolpert nicht über plumpe Tatsachen.

Nirgendwo anders als hier darf der Mann geboren sein, der den neuen Kontinent entdeckte, hier in dieser Stadt, deren kühne Befestigungen die Vermählung des Gebirges mit dem Meer feiern, hier in dieser Stadt, die der Nabel des Mare Nostrum ist.

Dicht drängen sich die hohen Häuser auf engem Raum. Die Straßen sind schmal und voll einer warmen Luft der Beweglichkeit, des Eifers der Hilarität. Die unbestimmten Gerüche der Waren, die aus allen Teilen der Welt in den Speichern dieser Stadt zusammenströmen, geben der Atmosphäre das Geheimnisvolle der Ferne, des Unbekannten, des Kostbaren.

Die Ausdünstungen der Säcke, des geteerten Holzes und der Häute mischen sich mit Yerba vom Parana, mit Salzfisch, Ananas und Reis aus Karachi und mit Kaffee aus Santos und Java zu einer Symphonia aromatica von köstlichem Reiz für den, der die Nuancen zu unterscheiden weiß.

Über allem liegt der Geruch von Meerwasser, Öl und Ruß und diese wunderbare Hitze, in der die Früchte die Köstlichkeit der vollen Reife erreichen.

Die Fassaden der Renaissance- und Barockpaläste der alten Genueser Familien ragen aus dem Getümmel der Straßenschluchten mit ihren Giebeln bis in die Sonne hinauf.

Die Reichtümer, die der Handel in die Stadt gebracht hat, haben in diesen Fassaden ihre Wiederauferstehung gefeiert. Die stillen Höfe, in denen Palmen Springbrunnen beschatten, haben etwas vom Zauber maurischer Architektur.

Hier wie Jahrhunderte früher in Byzanz traf der Orient mit dem christlichen Abendland zusammen. Der Mohammedaner, der in das Seitenportal von S. Matteo seine Datteln eingebaut hat, ist hier so zu Hause wie der griechische Agent, der armenische Shipchandler, der Heuerbaas aus Amsterdam und die Jollenführer von der Insel Korsika.

Die hundert Sprachen der Mittelmeerküste schwirren durcheinander im unbegreiflich verwirrten und unbegreiflich simplen Hafenslang, in dem man sich über die Geschäfte verständigt, die das Money bringen, das bei irgendeinem Drink irgendeines Landes in einer der zahllosen kleinen Trattorias am Hafen zur Auszahlung gelangt und an einem Tage oft dreimal verdient wird.

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Der Mensch braucht Stunden, wo er sich sammelt und in sich hineinlebt.

Albert Schweitzer