Brief eines Emigranten

Brief eines Emigranten · Oskar Maria Graf

Kind, du schreibst mir aus dem Heimat,
dass es wieder Frühling ist.
Wenn man morgens übers nasse Gras geht,
schreibst du, sei man wie die Erde selber,
die in neuem Wachsen steht.

Wenn ich das so lese aus dem Brief,
seh ich Äcker, Wald und Feld
ganz wie einst, als ich sie noch durchstreifte.
Unvergänglich glänzt das gute Bild
und beglückt mich immer tief.

Und du schreibst vom Krieg fast lustig,
weil man so viel davon hört,
Ja, die Alten, meinst du, seien meist gestorben
und die Jungen viel beim Militär
weils immer bald losgehen wird.

Kind, beim Lesen stockt mein Atem!
Ist das alles, was du weißt?
Ist vom freien Frieden nie die Rede?
Ich seh Wald und Feld, die Äcker
früchteschwer – alles öd!
Und keine Menschen mehr…

Brief eines Emigranten · Oskar Maria Graf · Emigration

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Liselotte Nold